Bei uns piept's
Grauschnäpper in Füllersdorf
Text: Karin Kichler, Juli 2014
Mitte Mai sucht sich ein Grauschnäpper-Pärchen das Rankgerüst unseres
Trompetenbaums als Nistplatz aus.
Die Jungen wachsen heran, und das Nest wird zu klein. Wir
befestigen einen „Auffangkorb“ unter dem Nest – nur für alle
Fälle. Und dieser Fall ist am nächsten Morgen schon eingetreten:
Ein kleines, fast nacktes Vögelchen liegt drinnen – halbtot,
Füßchen und Flügelchen flach ausgebreitet, ein Häufchen Elend
(drum gibt´s auch kein Foto davon). Wir betten es in ein
Suppenschüsselchen mit Watte und bieten ihm mit einer Pipette
Wasser an – keine Reaktion. Ein Stückchen Fliege – Grauschnäpper
sind Insektenfresser – keine Reaktion. Die Hoffnung sinkt mit
jeder halben Stunde, in der der kleine Kerl sich nicht rührt.
Aber als ich nach zwei Stunden wieder einmal vorsichtig die
Wattedecke hebe, kommt mir ein weit offener Schnabel entgegen.
Jetzt wird es hektisch: Obstfliegen, Gelsen, Fliegen und Bremsen
werden erlegt, zerschnitten (igitt!) und mit der Pinzette
verfüttert. Unvorstellbar, wie viel in so einen kleinen Kerl
hineinpasst – und das alle 30-45 Minuten! Zur Aufbesserung des
Speiseplans und weil die erreichbaren Insekten an den
Fensterscheiben immer weniger werden, gibt´s auch Mehlwürmer aus
der Tierhandlung – die geben ja gleich viel mehr her.
Ich habe Urlaub und plötzlich volles Programm. Nachtruhe
gibt´s von 21:00 bis 5:15, das reicht ja auch.
Seine drei Geschwister im „echten“ Nest haben es mittlerweile
sehr eng. Und als das Nest eines Morgens überraschend leer ist,
machen wir uns darauf gefasst, dass auch unser Nestling bald
flügge werden wird. Er dürfte aber in seinen ersten Lebenstagen
arg zu kurz gekommen sein: Er ist rund ein Drittel kleiner als
seine Geschwister, und es dauert noch eine gute Woche, bevor wir
ihn aus dem Käfig locken können und er seine ersten kurzen
Flugversuche im Freien unternimmt.
In der Zwischenzeit gibt es einen Umzug in ein größeres und luxuriöses „Nest“, das mehr Aussicht bietet - ein Körberl.
Die ersten Spaziergänge im Garten folgen „an der Hand“ – noch ist er ein „Nestling“ und macht keine Anstalten zu fliegen.
Trotzdem haben wir gleich mit der Hilfe unseres
netz.werk.mugl einen großen Vogelkäfig besorgt, in dem er zuerst
lernt, auf die Sprießerln zu hopsen und seine Flügel zu
trainieren. Sobald er das erste Mal auf dem Sprießerl
übernachtet hat, geht er nicht mehr ins Nest zurück.
Nach und nach werden die Flugstrecken länger, bleiben aber
immer innerhalb einer Distanz von 2-3 Metern und immer vom
Käfigtürchen auf eine ausgestreckte Hand. Plötzlich dreht er
aber bei einem seiner Versuche ab und fliegt zwischen uns durch
und schnurstracks auf die große Lärche. Wir stehen baff und
ratlos. Wir rufen und locken ihn mit allen Mitteln, aber er ist
nicht zur Rückkehr zu bewegen. Es ist Abend, und in der Nacht
regnet es heftig – wir schlafen wenig und unruhig, sehen ihn
hilflos, nass und einsam auf einem Ast sitzen, von Katzen
belauert, von Mardern verfolgt …
Gleich in der Früh noch im Nachthemd in den Garten und
gerufen – er meldet sich sofort, aber ich stehe dann doch noch
eineinhalb Stunden barfuß im Regen, bevor er wieder auf meine
Hand fliegt und ich ihn zurück in den Käfig setzen kann, wo er
seine Mehlwürmer, Bremsen und Fliegen bekommt.
Jetzt ist er ein „Ästling“, der in der freien Natur nicht
mehr ins Nest zurückkehrt, sondern „ambulant“ von den Eltern
gefüttert wird. Damit tun wir uns natürlich schwer. Aber es
funktioniert ganz gut, weil ihn der Hunger von seinen Ausflügen
in die umliegenden Bäume immer wieder zu uns zurückführt und wir
ihn mit der Pinzette weiter füttern können.
Auf dem bemoosten Dach unseres Hauses entdeckt er kleine
Ameisen und Käferchen, die er eifrig aufpickt. Diese Beobachtung
bringt uns auf eine Idee: Wir legen ein paar Mehlwürmer auf ein
Stückchen Moos, und nach kurzer Zeit schnappt er sich den ersten
Wurm und braucht fortan keine Pinzette mehr! Das enge
Zeitkorsett fürs Füttern ist damit vorbei, wir legen ein paar
Würmer in die Futterschale und stellen um auf „Selbstbedienung“.
Das so wichtige tägliche Bad ist auch kein Problem – nach
kurzer Beäugung hüpft er spontan in die bereitgestellte flache
Wasserschale und pritschelt herum, dass es eine Freude ist. Beim
anschließenden Ordnen des Gefieders werden die Federn geölt und
dadurch wasserabweisend. Das ist ganz wichtig, damit ihn der
erste Regen nicht flugunfähig macht.
In den Folgetagen werden nach und nach weitere Gartenteile
erkundet: Am Balkon und auf der Umrandung des Hochbeets kann man
sich den Bauch wärmen und hat gleichzeitig einen schönen
Rundum-Blick.
Außerdem gibt´s auf den Blumen viele kleine Insekten, und
schön langsam lernt er, sie wie ein richtiger Grauschnäpper zu
jagen: in die Luft springen und mit dem Schnabel schnappen (das
hört man sogar deutlich).
Eines Tages finden wir ihn am Boden sitzend, flugunfähig und
ein wenig verschreckt, äußerlich aber unversehrt. Vermutlich
hatte er eine unfreundliche Begegnung mit einer unserer großen
Fensterscheiben. Damit er nicht einer Katze zum Opfer fällt,
kommt er wieder für 4 Tage in den Käfig, um wieder ganz gesund
zu werden. Anfangs kann er nur am Boden sitzen, aber nach und
nach erobert er sich ein Sprießerl nach dem anderen zurück.
Als er am 5. Tag am obersten Sprießerl schon lautstark
rebelliert, darf er wieder hinaus, wo er schnell sein
fliegerisches Können vor dem Zwischenfall erreicht.
Und jetzt sieht er auch schon fast erwachsen aus. Wir haben
nun die Fütterungsintervalle nach und nach verlängert und die
Futtermenge reduziert.
Er bekommt jetzt nur mehr 3-4 Mal pro Tag eine
„Überlebensration“ von 2-3 Mehlwürmern in die Futterschale und
muss sich die restlichen Kalorien selbst erjagen. Wenn er uns im
Sturzflug anfliegt, sobald wir aus dem Haus kommen, können wir
natürlich nicht widerstehen, und es gibt eine Extra-Ration.
Mitte Juli – vier Wochen nach dem „Neststurz“ – kommt er
immer seltener vorbei, und die Distanz zu Menschen wird merklich
größer. Vielleicht liegt es auch daran, dass seine Eltern
bereits die zweite Brut – diesmal in unserem Carport –
großgezogen haben. Vielleicht hat er sich ihnen angeschlossen
und wird ein wenig mitgefüttert? Er wird jedenfalls (wieder) ein
Wildvogel – ein schöner Erfolg, auch wenn der Abschied nicht
leicht fällt …
Wissenswertes
Grauschnäpper sind Zugvögel, Ende August/Anfang September
fliegen sie nach Afrika und überwintern südlich der Sahara (!),
von wo sie Anfang/Mitte Mai wieder zurückkehren.
Unvorstellbar, dass dieses Kerlchen mit 15 Gramm in ein paar
Wochen so weit fliegen soll! Hoffentlich findet unser
Grauschnäpper wirklich Anschluss an Artgenossen, damit der den
Abflug nicht verpasst. Besonders hilfreiche Informationen zur
Handaufzucht von verwaisten Wildvögeln habe ich hier gefunden:
http://www.wildvogelhilfe.org/
Und es empfiehlt sich wirklich, die ganze (umfangreiche)
Website durchzulesen! Schon allein, um das richtige Futter zu
finden. Grundsätzlich gilt, dass man aus dem Nest gefallene
Vögelchen möglichst ins Nest zurücksetzen sollte. Es stimmt
nämlich nicht, dass die Altvögel ihre Jungen nicht mehr
annehmen, wenn sie von Menschen berührt wurden.
In unserem Fall war das aber leider nicht möglich, weil
das Nest eindeutig überbesetzt war. Auch sollten Wildvögel
nicht alleine großgezogen werden, sondern immer zusammen mit
anderen. Dafür wäre es am besten, ihn in eine Auffangstation zu
bringen – diese Information haben wir aber erst zu spät
gefunden.
Und dass man sie nicht zu sehr an sich gewöhnen sollte,
ist schwierig, wenn man das kleine Ding alle 30 Minuten füttern
muss. Ich hoffe, dass unser Schnäpper es trotzdem schafft!